II. Das alte Badehaus
Hannalena
steht vor dem Badehaus.
Fassungslosigkeit
zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab, dann blanker Zorn.
Vertrockneter Efeu, der schon bessere Zeiten gesehen hat, rankt sich um
die Säulen am Eingang, die Handläufe an der Treppe und die
Türscharniere sind verrostet.
Der Treppenaufgang zum Eingang lässt vermuten, einmal aus edlen
Steinen gebaut zu sein. Jetzt sieht er nur schmierig und schmutzig aus.
Laub vom Vorjahr hat sich mit Regen, Schlamm und Schnee gemischt und
hat auf der Veranda und der Treppe eine undefinierbare Farbe
angenommen. Rund um das Gebäude wuchert das Unkraut.
“Grundgütiger
!!!“
“Na, da hab
ich mir ja was "andrehen" lassen. Also, das stand nicht im Kaufvertrag!
Von wegen "gut
erhalten", "in tadellosem Zustand" und "kaum
benutzt!“
Hannalena
schüttelt entrüstet den Kopf, dann steigt sie vorsichtig mit
angehobenem Rocksaum die Treppe hinauf und steht vor der Tür. Sie
kramt in ihrer Tasche und aus den Tiefen des Behältnisses
fischt sie einen großen altmodischen Schlüssel, steckt ihn
ins Schloss und schließt auf.
Die Türe klemmt.
Hannalena lehnt sich
mit der Schulter gegen die Tür und schiebt.
Wenn ich mich damals hätte selbst
betrachten können, hätte ich mich
vermutlich gefragt, was ich da mache:
eine kleine weibliche Person, die
sich gegen eine große Tür lehnt - welch ein Anblick!!!
Hannalena bietet – mit Wille und
Sturheit zugleich – alle ihre Kräfte auf und mit einem
Scharren gibt die Türe nach.
“Na
bitte, geht doch!“
Bevor sie das
Badehaus endgültig betritt, trifft Hannalena - vom
äußeren Erscheinungsbild des Badehauses vorgewarnt - einige
Vorkehrungen:
Als
erstes öffnet sie ihre Jacke und krempelt den Bund ihres Rockes um
den Gürtel herum, so dass der Rock immer kürzer wird. Das tut
sie, bis ihre Knöchel nicht mehr vom Rock bedeckt sind, denn
schließlich braucht sie vermutlich beide Hände und wenn auch
nur, um Dreck von sich zu halten.
Dann
wühlt sie wieder in ihrer Tasche und holt eine
Riesenschürze hervor, dieser folgt ein ebenso großes,
knallbuntes Kopftuch.
Die
Schürze schlingt sie um ihre Hüften, holt die Enden nach
vorne, legt sie über Kreuz und bindet sie fest zusammen, damit
sich nichts lockert. Das Kopftuch schlingt sie in einer Art Turban um
den Kopf. Auch hier sorgt ein fester Knoten, dass das Tuch da bleibt,
wo es ist.
Angesichts des äußerst
merkwürdigen
Aromas, das ihr aus der halboffenen Tür entgegenkommt, holt sie
ihr
silbernes Etui hervor und zündet sich erstmal einen neuen
Zigarillo an. Dann packt sie das Etui wieder zurück, schultert
schwungvoll ihre Tasche und zieht einmal kräftig an ihrem
Glimmstengel.
“Na los, altes Mädel, stell dich mal nicht so an,
dann mal rein in die Rumpelbude !“
feuert
sie sich selbst an. Dann geht sie hinein.
Kaum ist sie drin im Badehaus und hat
ihren
Blick schweifen lassen, greift sie wieder in die Tasche. Ein VIEL
größeres Stück Papier als bei der Litfasssäule
kommt hervor und natürlich auch der Stift....
“Das pure Grauen, also irgendwie
spannend…“ murmelt
sie grinsend
Hannalena beschließt,
systematisch
vorzugehen und eine Türe nach der anderen zu öffnen:
Gleich im ersten Raum stehen ungefähr zwei
Dutzend Kisten, die
hier irgendwie übrig geblieben zu sein scheinen.
Neugierig öffnet sie eine der Kisten und findet lauter Krimskrams,
aber auch Nützliches und dann wieder einfach nur ... unsinniges
Zeug
“Das wird wie Weihnachten, wenn ich die
auspacke...“
Sie schließt
die Kiste, betrachtet die verstaubten Regale, macht sich Notizen und
setzt ihre "Entdeckungsreise" fort.
Im nächsten
Zimmer stehen zwei Liegen nebeneinander, an der Wand
ist eine Art Wandschrank, im hinteren Teil des Raumes eine
geräumige Wanne. Auch hier liegt der Staub der Jahrtausende und
überall sind Spinnweben.
Hannalena öffnet eine der Schranktüren, Laken sind darin,
allerdings auch verstaubt und leicht angegilbt. Hinter der anderen
Schranktüre sind Flaschen und Tiegel.
Unerschrocken
öffnet sie eines der
Fläschchen, riecht vorsichtig daran und ist angenehm
überrascht.
"Hmmm, welch
lieblicher Duft!"
Vorsichtig lässt
sie etwas von der
Flüssigkeit auf eine Fingerspitze tropfen und zerreibt sie
zwischen Daumen und Zeigefinger.
“Das scheint eine Art
Massageöl zu
sein. Na prima, wenigstens etwas!
Das Zeug
ist in Ordnung, das kann ich wieder verwenden.“
Vom Geruch des
Öles noch ganz angetan,
schließt sie einen Moment die Augen und sieht vor sich zwei
ermattete Körper, die sich von den Mädchen mit warmem Öl
salben und massieren lassen. Hannalena öffnet schmunzelnd die
Augen...
“Mädel,
wo bist du nur mit deinen
Gedanken?“ Sie lächelt.
Die Liste in ihrer
Hand wird immer
länger. Hannalena geht weiter...
Die nächste Tür, vor der
Hannalena
stehen bleibt, ist deutlich schmaler als die anderen, aber das bemerkt
sie nicht, da sie gerade schreibt. Schwungvoll reißt sie mit der
einen Hand die
Türe auf und dann...
*polter, schepper,
klirr, knall*
stürzen diverse Schrubber, Besen, Eimer, Putzlappen,
Scheuerbürsten und anderes Putzzeug auf sie hernieder.
Ein
Besenstiel streift ihre Schläfe,
während sie mit
einer Schnelligkeit, die man ihr nicht zutrauen würde, einen Satz
nach hinten macht.
“Sch.....
!!!“ zensiert
entfleucht ihrem Mund recht undamenhaft.
Dann - noch immer vor sich hin bruddelnd - schiebt sie mit dem
Fuß, was auf dem Boden liegt, wieder in die offensichtliche
Abstellkammer. Die Schrubber- und Besenstiele hebt sie auf und mit der
einen Hand das Ganze in die Kammer schiebend, drückt sie mit der
anderen fix die Türe wieder zu. Das Schloss schnappt hörbar
ein. Einen Moment steht sie vor der Türe, beide Hände wie zur
Abwehr vor sich haltend.
Hannalena atmet tief aus. Dem ersten Schrecken weicht ein schelmisches
Lächeln auf ihrem Gesicht und sie murmelt leise:
Das nächste Mal lasse ich Louis die
Türe öffnen!
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